Jannis Plastargias über Lieben und Loslassen
Ein Bericht von Carolina Teichmann Cravo.
»Diese Aufregung, diese Angst, etwas zu verpassen… «, damit setzt sich wohl jeder, unabhängig des Alters, an einem bestimmten Punkt in seinem Leben auseinander. Jannis Plastargias erfährt früh am eigenen Leib, was es heißt in der heutigen Zeit gleich mehrfach »anders zu sein«. Nicht nur, dass er sich bereits früh aufgrund eines Tumors mit dem Sterben auseinandersetzen musste, gerade in dieser pubertären Phase kam auch noch die Frage nach der eigenen Sexualität auf. So ist es nicht verwunderlich, dass der Autor sich in » Sekt und Sex – Eine Geschichte über das schönste Prickeln im Leben« mit den Problemen befasst, die jedem jungen Erwachsenen zweifelsohne bekannt sind: Die Suche nach sich selbst, die Frage nach der eigenen Identität – wo gehöre »ich« hin? Die Erzählung handelt von Homosexualität und Migrationshintergrund.
Wir haben mit dem Autor gesprochen: Über Identität, Jugend und selbstverständlich Sekt und Sex.
Carolina Teichmann Cravo: Lieber Herr Plastargias, Sie sind nicht nur Autor und Blogger, sondern gelten auch als engagierter Kulturaktivist. Welche dieser Aktivitäten begeistert Sie persönlich am meisten?
Jannis Plastargias: Nun, ich habe viele Jobs, die mir alle auf die eine oder andere Weise Spaß machen. Ich durfte Anfang 2015 an einem Tanztheater-Projekt namens »Batucada« teilnehmen, das sich mit der Flüchtlingsproblematik befasste. Das machte mir sehr großen Spaß und vielleicht war die Beschäftigung mit dieser Thematik der ausschlaggebende Grund dafür, später im Jahr die Arbeit als Sozialpädagoge in einer Beratungsstelle für Asylantragsteller*innen zu beginnen. Innerhalb dieser Arbeit durfte ich zwei Filmprojekte mit Geflüchteten betreuen und das hat mir vielleicht in diesem Jahr die meiste Freude bereitet – die jungen Leute fühlten sich gewürdigt, gehört und konnten ihre Gedanken durch unser Team an ein breites Publikum tragen.
Carolina Teichmann Cravo: Die Protagonisten in Ihre Geschichte weisen meist einen Migrationshintergrund auf. Pavle, der Hauptcharakter, ist sogar selbst Grieche. Liegt Ihnen dieses Thema als Kind griechischer Gastarbeiter selbst stark am Herzen?
Jannis Plastargias: Ja, ganz klar. Mich hat diese Thematik – Fremde und Heimat, Integration und Migration usw. – immer stark beschäftigt. In der Grundschule schon musste ich der »Vermittler«, der »Integrationist« sein, immer wurden die schwächsten Schüler, meist mit Migrationshintergrund, neben mich gesetzt, damit ich ihnen helfen konnte. Am Ende der dritten Klasse saßen in der letzten Schulwoche gleich drei brasilianische Kinder neben mir, die kaum Deutsch konnten. Integration und Desintegration blieb immer mein Thema. Als Sechzehnjähriger lag ich ein halbes Jahr in der Kinderkrebsklinik. Chemotherapie. Kinder sterben. Kinder sind plötzlich nicht mehr da. Freunde. Und die Freunde in der Schule, die Mitschüler, entfremden sich von dir. Du kehrst zurück in die Schule und alles ist anders … Dann das Leben vor dem Coming-out, das Leben mit dem Coming-out. Das Schreiben. Das mehrfache Anderssein … Ich könnte stundenlang darüber reden, warum mich das Thema niemals losließ – im Studium hatte ich den Schwerpunkt Interkulturelle Erziehung, jetzt arbeite ich mit Geflüchteten, früher leitete ich ein Projekt, in dem die Chancen von erwachsenen Menschen mit Migrationshintergrund im Arbeitsmarkt vergrößert werden sollten …
Jannis Plastargias hielt die eigene Erfahrung mit dieser lebensbedrohlichen Krankheit in so jungem Alter schriftlich fest. Die ganz persönliche Geschichte eines erkrankten Jugendlichen wurde 2014 als Buch »Liebe/r Kim« veröffentlicht. Zu dieser, sehr belastenden, Zeit stellte er auch erstmals die eigene Sexualität in Frage: Homo- oder heterosexuell? Als Kind mit Migrationshintergrund sicherlich kein leichtes Unterfangen, dafür umso bewundernswerter, dass er heutzutage als sehr engagiert in der schwulen Szene gilt.
Carolina Teichmann Cravo: Die Charaktere kommen aus unterschiedlichen Ländern – aus der Türkei, Griechenland, Deutschland, Polen. Inwieweit, glauben Sie, schränkt der kulturelle Hintergrund die Akzeptanz von Homosexualität ein?
Jannis Plastargias: Zunächst einmal ist dies ja meine Welt: Ich bin als Kind in einer Gemeinschaft von Türken, Kroaten, Bosniern, Armeniern, Italienern, Spaniern etc. aufgewachsen. In Frankfurt umgeben mich Menschen aus allen Teilen der Welt, manche davon sind LSBTI*Qs und ich schätze dieses Umfeld sehr. Ich liebe es in einer heterogenen Welt zu leben. Leider nimmt die Akzeptanz von Andersartigkeit in den letzten Jahren wieder stark ab, gerade in Ländern wie der Türkei oder Polen. In der Geschichte wird ja deutlich, dass die lesbische Magda ohne ihre Eltern heiraten muss – sie sind gegen gleichgeschlechtliche Hochzeiten. In Deutschland ist es jedoch auch nicht so weit her mit Akzeptanz von Andersartigkeit. Hier wird sich oft aus dem Fenster gelehnt, wenn es um Homophobie in anderen Ländern geht, aber leider ist hier auch noch sehr viel zu tun.
Carolina Teichmann Cravo: Die Geschichte befasst sich mit den Problemen eines jungen Erwachsenen. Es gibt unzählige Probleme und der Protagonist versucht vor allem mit sich selbst klarzukommen. Warum haben Sie sich für diese Thematik entschieden?
Jannis Plastargias: Mich beschäftigt die Frage nach der Identität. Wir beginnen die Suche nach uns selbst bereits als kleines Kind, möchten wissen, wer wir sind, woher wir kommen, wohin wir kommen, als Pubertierender ist das fast die Hauptbeschäftigung – deswegen finde ich dieses Alter so spannend. Und heutzutage zieht sich diese Pubertät bis ins Studium, fast schon bis ins Erwachsenenalter hinein. Wir leben in einem Zeitalter, in dem wir uns das ganze Leben lang selbst suchen. Das konnten sich früher nur privilegierte Menschen leisten, die anderen hatten kaum Gelegenheit dazu, sie mussten arbeiten, schuften, wurden krank und starben früh.
Carolina Teichmann Cravo: Beziehung und Sex sind sicherlich große Themenbereiche in der Geschichte, am Ende bringt Sex Leif und Pavle wieder zusammen. Glauben Sie, Sex kann die Grundlage einer Beziehung sein?
Jannis Plastargias: OMG! Dass ich so eine Frage mal beantworten muss. Sex gehört zu einer erwachsenen Beziehung, das auf jeden Fall – und wenn der Sex in einer Beziehung nicht gut funktioniert, steht sie auf sehr wackligen Beinen. Das glaube ich schon. Aber nur Sex? Das kann es nicht sein! Ich glaube aber, dass wir Menschen uns in unserer Einstellung zu Sex sehr unterscheiden, daher ist auch die Frage, was guter Sex für einen ist, sehr schwierig zu beantworten. Ich glaube auch nicht, dass es der Sex ist, der sie zusammenbringt, sondern eher die Anziehung. Das Paar in der Geschichte ist noch in der Phase, in der sie sich voneinander angezogen fühlen, aber manchmal auch abgestoßen. Ich glaube, wenn sie länger zusammenbleiben, wird dies in eine andere Phase führen …
Carolina Teichmann Cravo: Sekt, Dramatik und Modebewusstsein. Das Bild, das von Schwulen in der Gesellschaft vorherrscht, baut sich ähnlich auf. Haben Sie es mit Absicht so inszeniert?
Jannis Plastargias: Ich versuche die Realität, wie sie mich umgibt, abzubilden. Vielleicht bilde ich damit auch Klischees ab, das mag sein. Vielleicht hinterfrage ich sie aber damit auch auf die eine oder andere Weise. Mode zum Beispiel ist auch ein Distinktionsmittel: Ich möchte mich als Wer, als Was darstellen – somit ist das ein wichtiger Punkt in der Frage nach Identität und nicht oberflächlich zu betrachten. Wer bin ich, wenn ich mich so oder so anziehe? Welche Gruppe wähle ich, welche Werte? Das mit dem Drama verstehe ich, nur glaube ich nicht, dass diese dramatischen Episoden nur typisch für gleichgeschlechtliche Beziehungen sind, es ist vielleicht eher ein Zeichen der Zeit. Diese Aufregung, diese Angst, etwas zu verpassen – vielleicht etwas, das sogar besser ist als das, was man gerade hat. Das war früher ganz sicher nicht so – das hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Erscheint die Geschichte denn so sexualisiert? Pavle hatte keinen Sex mit Salim, obwohl dies ein Einfaches gewesen wäre. Darüber hat er noch nicht einmal nachgedacht, schon die Zunge war ihm ja eindeutig zu viel. *lach
Die Original-Geschichte erschien 2014 in der Anthologie »Gleich, Liebes, Gleich ist das Essen fertig« unter dem Titel »Salim vor Leif«. Dieser Band wurde in einer Queer-Reihe veröffentlich, Jannis Plastargias fungierte als Herausgeber aller Teile und steuert selbst eigene Geschichten bei.
Carolina Teichmann Cravo: Wie kam es dazu, dass Sie ebendiese Erzählung ausgewählt haben?
Jannis Plastargias: Bei dieser Anthologie war ich der Herausgeber und der ursprüngliche Gedanke war ja, sich nicht nur auf Essen zu konzentrieren, sondern auch das Trinken mit einzubeziehen. Die meisten Autor*innen hatten allerdings eine Speise ausgesucht, daher wollte ich eine »Trink-Geschichte« schreiben. Sie sollte aber nichts mit Saufen und Sex, den man aufgrund eines Filmrisses vergisst, zu tun haben, ich wollte etwas Erotisches schreiben, etwas Prickelndes – und etwas, was sich so ganz von dem Rest der Geschichten unterscheidet.
Dieses Buch zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass jeder Geschichte die passenden, erotischen Rezepte beigefügt sind. Zu dieser Erzählung gibt’s das passende Rezept mit Sekt:
Einen »Leif on the rocks« Cocktail.
Carolina Teichmann Cravo: Sekt zieht sich wie ein roter Faden durch die Erzählung. Zählt das Getränk denn zu ihren Lieblingen?
Jannis Plastargias: Wenn ich bei meiner Familie in Kehl bin (was ja schon fast Elsass ist), trinken wir als Aperitif immer guten Cremant – das könnte man schon fast als unser Familiengetränk bezeichnen. Und guter Cremant prickelt ganz schön auf den Lippen und macht wirklich happy.
Jannis Plastargias studierte Lehramt für Grund- undHauptschule mit den Fächern Deutsch, katholische Religion und Biologie. Darauf folgte ein Ergänzungsstudiengang der Diplom-Pädagogik mit Schwerpunkt Interkultureller Erziehung. Heutzutage ist er unter anderem als Autor, Blogger und Kulturaktivist tätig. Im Größenwahn Verlag erschien sein Debütroman »Plattenbaugefühle«m Jahr 2011.
Der Autor schreibt von Unsicherheiten, Orientierungslosigkeit und Krisen, die jeder auf die ein oder andere Art und Weise erfahren hat.
»Wir leben in einem Zeitalter, in dem wir uns das ganze Leben lang selbst suchen.« Und er schreibt von dieser Suche.
Carolina Teichmann Cravo: Was für eine Rolle spielt Hoffnung, wenn man das Ende der Erzählung sieht?
Jannis Plastargias: Bei diesem Paar treffen zwei Charaktere aufeinander, die nicht nur völlig unterschiedliche Beziehungstypen sind, sondern generell ganz unterschiedlich ticken. In einem wichtigen Punkt passen sie nicht zusammen: Pavlos hat sich für Leif entschieden, er will gar nicht, dass jemand anderes um die Ecke kommt, er möchte nur ihn und das noch möglichst lange, während Leif fürchtet, dass er mit Pavle als Partner etwas verpassen könnte, etwas, das perfekt ist, dass es jedoch meiner Meinung nach nicht gibt. Die Hoffnung liegt darin, dass es Leif innerhalb dieser Geschichte schon begriffen hat und auf die Anziehung vertraut …
Die Größenwahn Reihe »Appetit« bringt mehrmals im Monat eBooks raus. Diese Kurzgeschichten inklusive Rezept zum selber Kochen sind für 0,99€ im Bookshop erhältlich.
Die Geschichten machen Appetit auf mehr!
Jetzt wird die Erzählung von Jannis Plastargias »Sekt und Sex – Eine Geschichte über das schönste Prickeln im Leben« veröffentlicht.
Jannis Plastargias beim Größenwahn Verlag: