Mit Apfelwein und Handkäs-Tatar
auf zu Deutschlands schönsten Buchläden
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Tag 2.:Freitag, 10. November 2017
»Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne …« Tamaras sanfte Stimme schalt plötzlich in das Büro hinein. Plötzlich und unerwartet wird mir bewusst, so eben bricht der Martinsvorabend auf.
»Wie die Zeit vergeht …«, flüstern meine Lippen während wir herzlich lachen.
Küsschen hier, Küsschen da. Wir begrüßen uns, so wie gewohnt.
Tamara Labas, umhüllt von Schal und Wollmütze, in einem schwarzen perfekt taillierten Mantel, auf hohe Schuhen und dabei diese strahlend leuchtenden Augen.
»Die WuWuWuB ist da!«, ruft sie begeistert, »und ich freue mich dass ich dabei sein darf!«
»Ich freue mich … und los geht´s …« mit dem Auto in den Novemberabend hinein, in den nächtlichen Verkehrsstau, nach Langen, zur nächsten schönsten Buchhandlung, zum nächsten Ziel, um die Unabhängigkeit zu offenbaren.
Auf der A648 Nieselregen. Die A5 in Schritttempo. Das Frankfurter Kreuz ist dicht. Verlassen wir bei der Ausfahrt Zeppelinheim die Autobahn? Wir riskieren und behalten die Spur Richtung Süden. In einigen Minuten rollen wir auf der B486. Langen, wir kommen. Tamara erzählt lebhaft von der letzten Lesung, die Navi-Stimme überhören wir und verpassen die Ausfahrt – eine Ringstraße.
»Jetzt müssen wir aber aufpassen …«, Zustimmung, gegenseitige, »bevor ich es vergesse …« erzähle ich von der nächste Veranstaltung.
»… rechts Fahren …«, tönt das Navi – »Hier rechts!«, ruft Tamara – »nicht hier, die nächste Straße rechts«, korrigiert sie mich – das Auto in der Kurve – »Oh, Nein!«, jammere ich – »wir sind richtig«, versucht Tamara mich zu besänftigen – »habe das Brot in der Küche vergessen!«, rufe ich verzweifelt – »Oh, Nein!«, ruft sie nun auch – da leuchtet die Reklame eines Supermarkets – instinktiv steuere ich auf den Parkplatz zu, stelle den Motor ab, »komme sofort«, springe in den Laden, Brot, irgendein schönes knuspriges Bauernbrot suchend, verzweifelnd, irgendeine Kasse am Freitagabend ohne lange Schlage zu finden, »gehen Sie vor«, bietet mir eine Dame an, »Sie haben doch nur eine Sache in den Händen« – »sehr nett, vielen Dank« – »das ging aber schnell«, kommentiert Tamara, und wir sind gleich da.
Wir finden rechtzeitig den Lutherplatz. Sogar ein Parkplatz im Innenhof ist für uns reserviert.
»Was für ein Service!« Tamara ist aufgeregt. Sie setzt die Mütze auf, »wegen meiner Haare«, erklärt sie mir, ich habe anscheinend verwundert geschaut, »bei diesem feuchten Wetter werden sie schnell kräuselig …«.
Wir laufen unter einem riesigen Regenschirm 16 Schritte bis zur Eingangstür des Buchladens. Die riesigen Vitrinen leuchten. »Ich lese unabhängig«. Große Plakate ziehen unsere Blicke auf sich. Daneben die Ankündigung der Veranstaltung: »Der Größenwahn Verlag hier bei uns!«
Stephan Gräbener, der nette Inhaber, begrüßt uns herzlich. Tamara huscht in den Laden. Ob er helfen kann? Er kommt mit zum Auto, um den Apfelwein zu tragen. Jetzt hat er bedenken. Zu viele Veranstaltungen an diesem Freitagabend. Laternenumzüge. Der Regen. Sogar Fußball-König im Fernseher. England gegen Deutschland, ein Freundschaftsspiel.
»Alles wird gut«
Alles ist perfekt. Schon beim Eintreten des Buchladens erblicke ich unser DIN A0 Plakat »Welches Adjektiv bist du?«-Spiel. Alle Werbematerialien liegen aus. Auf hölzernen Weinkisten drapieren sich die Bücher des Größenwahn Verlags: Die Liebenden von Wiesbaden, Mein Leben in Deutschland begann mit einem Stück Bienenstich, Der Koch der drei Mal lebte, Alternativen, Zoe & Adil und noch viel mehr. Der Buchladen in Langen hat groß bestellt.
Tamaras Augen leuchten wie Sterne beim Anblick ihres eigenen Lyrikbuches. Zwölf. Gedichte unter weißen Wolken, auf indigokarminblauen Himmel. Ein gelungenes Cover. Der Traum eines jeden Autors. Und sein Buch in der Buchhandlung. Ein Stapel auf dem zentralsten Tisch im Laden. Ein Blickfang. Nicht zu übersehen.
Die Mitarbeiterinnen helfen uns abzulegen. Ein Tisch steht für uns bereit. Weiße Tischdecke. Gebügelt. Apfelweingläser auf einem Tablett. Ich stelle den Apfelwein daneben. Die Schüssel mit dem Handkäs-Tartar, das Brot, die Servietten.
Die Stühle sind aufgestellt im Halbkreis um den Größenwahn-Themen-Tisch. Zwischen Kasse und Regalen sieht die Bestuhlung wie ein griechisches Amphitheater aus. Und die ersten Gäste nehmen schon Platz. Die Flyer werden gleich durchgeschaut. Ich serviere Apfelwein. Pur. Gespritzt. Tiefgespritzt. Nur Wasser. Jeder einen anderen Geschmack.
Kurz nach 19:00 Uhr werden wir offiziell begrüßt. Herr Gräbener übergibt mir das Wort.
Das Café Größenwahn, die Geburt einer Idee, die Gründung des Verlages, die Träume eines Verlegers, das schwere Los Bücher abzusetzen, die Betreuung der Autoren, die Suche nach außergewöhnlichen Manuskripten, ein Büro, freie Mitarbeiter, Praktikanten, Messen, acht Jahre Verlagsarbeit im Schnelldurchgang.
»Wir entdecken Schriftsteller, das ist unsere wesentliche Arbeit beim Verlag. Und eine Neuentdeckung ist Tamara Labas.«
Jetzt ist die Lyrikerin an der Reihe. Und sie ist perfekt. Ihr Leben, ihre Tätigkeiten, ihre Ziele. Ihre Wünsche, ihre Träume. Ihre Gedichte:
zitronenscheiben in der karaffe mit wasser aufgefüllt, lösen ihre aromen, überlassen sie dem quell. geschieht freiwillig. oder nicht? das wasser zieht mit kraft und die zitronenscheiben kämpfen gegen den zug des wassers. wer macht sich schon gedanken, wie sich zitronenscheiben und wasser zueinander verhalten? …
Sie fasziniert. Mit Stimme, Aussprache und Gestalt.
Applaus.
Konversationen.
Handkäs-Tartar probieren.
Apfelweinflaschen, die leeren sich.
Bücher signieren.
Kassengeräusche.
Alles ist gut.
Es ist schon 22:00 Uhr als wir den Buchladen in Langen verlassen. Um Erfahrungen reicher. Gutes Gefühl im Herz. Die Unabhängigkeit im Novemberregen schmeckt nach Frische. So wie Tamaras Gedichte. Wie Zitronenscheiben im Wasser.
Wir kommen wieder nach Langen. Gerne. Und wir wollen noch mehr Aktionen zusammen mit dem Buchladen versuchen. Es passt. Die Unabhängigkeit passt uns perfekt.
Eine glückliche Tamara verabschiedet sich vor dem Verlagsbüro und steigt in ihr Auto. Gerade als ich in die Schlossstraße biege, sehe ich eine Gruppe von Menschen die Straße überqueren. Einer hält eine Laterne. Sie leuchtet. Und ich grinse wie ein Kind.
Gute Nacht ihr alle Süßen, da draußen, im November.
Gute Unabhängigkeit.
Küsschen.
Euer Sewastos
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Reiseplan:
DO: 09.11.17: Bad Wildungen Buchland
FR. 10.11.17: Langen Der Buchladen
SA. 11.11.17: Offenbach Buchladen am Markt
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